Wenn wir mit den Mandalas aus dem Buch von Ruediger Dahlke: Mandalas der Welt arbeiten, dann bitte ich die TeilnehmerInnen immer, sich vom Mandala finden zu lassen: einfach das Buch durchblättern, nicht hinsehen, und auf eine Seite tippen. Das, was dann da ist, ist ihr heutiges Mandala. „Aber wenn mir das nicht gefällt?“ – Dann ist das wie im richtigen Leben manchmal, wo ich mir manches aussuchen kann und manches nicht. Und wo ich nicht immer mich von meinen Vorlieben und Neigungen antreiben lassen muss, sondern manchmal auch einfach mich einer Sache hingeben kann, die ich nicht gewählt habe und die mir nicht auf Anhieb sympathisch ist. Manchmal kriegen wir im Leben Pakete geliefert, die wir nicht bestellt haben und trotzdem nicht ablehnen können. Also schauen wir mal, wie wir mit dem Mandala, das uns gewählt hat, zurechtkommen. In aller Freiheit. „Dieser Raum hat zwei Türen“, sage ich dann immer.
Gestern hatte eine Patientin ein Mandala, das ihr sehr unsympathisch war: lange Linien, sehr verschlungen, komplexe Struktur, ach… . Und sie akzeptierte es. Beim Malen fiel ihr auf, dass sie gar nicht, wie sonst immer, dunkle Farben einsetzte. In der zweiten Zwischenfrage-Runde fiel ihr auf, dass da ja doch, wider Erwarten, eine einsehbare Struktur erschien. In der Schlussrunde, bei der Vorstellung ihres Mandalas, fiel ihr plötzlich die Verbindung ein: „Meine Heilpraktikerin sagte, dass ich ruhig in die Reha gehen sollte und wahrscheinlich würde es da irgendwann schnipp machen und ich könnte mich entspannen. Und jetzt denke ich: ja, der Weg ist einfach etwas länger, als ich mir das zu Anfang gedacht habe. Das ist es! Die Linien hier sind auch klar und schön, sie sind nur bisschen länger und verschlungener, aber, hier: ganz deutlich erkennbar, auch wegen den Farben, die ich gewählt habe! Das ist das Mandala des längeren Weges!“
– Einer meiner Lieblingspädagogen ist Rafe Esquith (Teach as if your hair was on fire), der an einer Schule in Los Angeles unterrichtet. An der Stirnwand seines Klassenzimmer hängt ein Banner:
There are no shortcuts. Es gibt keine Abkürzung.
Das hat uns im Gespräch gestern sehr eingeleuchtet: wenn es eh keine Abkürzung gibt, dann kann ich mich ja sofort entspannen, denn dann ist der Weg, den ich gehe, ja automatisch der richtige, und ich kann dann einfach einen Schritt vor den anderen setzen und muss mir keine Sorgen um verpasste Gelegenheiten machen. Also wie beim Mandala-malen. No shortcuts.