Staub. Zeit. Listen. Das Gute bleibt.

Das Arbeitszimmer muss entstaubt werden, entrümpelt, reformiert. Frau kann nicht immer nur Bücher kaufen und keine wegwerfen. Aber da fängts schon an: ich kann keine Bücher wegwerfen. Manche kann ich rotieren, in die Klinik, in die Patientenbibliothek, z.B. Krimis, die ich nur einmal lese. Aber alle anderen? Was tun?
Ich habs probiert: momox, rebuy und wie sie alle heißen, wollen meine Bücher nicht.  Mir sind sie so viel wert, dass ich mich kaum trennen kann, aber ein Geschäft ist damit nicht zu machen. Ich lese anscheinend nur Bücher, die sonst keiner will, denn wie anders käme der Marktpreis, den die Rückverwerter bieten, sonst zustande? Für 22 Cent gebe ich keinen alten Eco weg, oder den Christmas Carol, den ich zweimal habe, weil ein lieber Mensch an zwei Weihnachten hintereinander genau das selbe gedacht hat und es bis heute nicht weiß, denn ich bringe es nicht über mich, ihm zu sagen: „Alter Freund, du wirst alt. Jetzt schenkst du mir schon zweimal dasselbe Buch zu Weihnachten.“
In den  Müll? – Ausgeschlossen.
Die Lions-Brüder mit ihrem Bücherflohmarkt sind mir zu weit weg, außerdem, realistisch betrachtet: da kaufts auch keiner. Nicht mal für den guten Zweck.
Meinen  Dachboden, unter Reet, also bewohnt, belebt, voller Spinnen, Spinnennnetze und wer weiß wer sonst noch da wohnt, habe ich kürzlich, mit Hilfe meiner südlichen Schwester, ausgeräumt. Aber nicht entstaubt. Lohnt sich nicht, ist in Kürze wieder wie vorher. Die Entropie ist in Friesenhäusern besonders schnell.
Da kam die beste Ehefrau von allen mit der Idee: „Kauf Dir doch so durchsichtige verschließbare Plastikboxen, darin liegts sicher und bleibt frisch!“  – Das ist die Lösung. Raus aus dem Arbeitszimmer, aber nicht aus meinem Leben. Und wie jede Lösung, so verwandelt sich auch diese Lösung schnell ins nächste Problem. Welche? Wie auswählen? Was wirklich gänzlich weg, was auf den Dachboden?
Mit welchem Buch muss ich HierundJetzt leben, welches kann temporär aus meinem Gesichtskreis entfernt werden?

Ich ertappe mich bei dem Gedanken: Den Assmann über die Zauberflöte auf den Dachboden, wenn du dann mal alt bist und Zeit hast, kannst du den lesen und dazu die Zauberflöte hören. Sowas habe ich noch nie gedacht. Ich hab mir noch nie fürs – völlig hypothetische – Alter Bücher beiseite gelegt. Plötzlich erstrecke ich mich mit meinen Büchern, die ich nicht loslassen kann, in eine Zukunft, in der ich im Lehnstuhl sitze und die Zauberflöte höre. Wie mein Großvater, fällt mir grade ein, der seine alten Tage nach Musikstücken eingeteilt hat, die er an dem Tag hörte. Wenn wir Kinder abends zu Besuch kamen, kriegten wir einen  Teil der Stücke des Tages zu hören und zum Abschluss immer die kleine Nachtmusik.
Fürs Alter beiseite legen. Hm. Ist eine neue Entscheidungskategorie.

Eine Zwischenlösung schwant mir schon, mein Vater sagte immer: Zwischenschritt. Beim Tanzen, wenns ihm konventionell zu langweilig war und zu langsam. Dann machte er Zwischenschritte.
Also Zwischenschritt:
Ein paar Bücher beiseite gelegt für die Freundin. Der Wunsch, mit Büchern, das heißt, Inhalten, andere zu beglücken, stirbt nie aus.
Kleine Grundausstattung für den Couchtisch, was haben wir denn da:

Virginia Woolf: Orlando
Margaret Atwood: Alias Grace
Patricia Highsmith: Carol
Chitra Banerjee Divakaruni: Die Hüterin der Gewürze
Frauenbriefe der Romantik
Gertrude Stein: Q.E.D.
Helena Janeczek: Lektionen des Verborgenen

Die Geschichte der Frauen, oh je, von Georges Duby, 5 Bände, schwer, veraltet, die Welt- und Kulturgeschichte der ZEIT, oh jeher, ab  in die Kiste, dafür hab ich sie ja. Die gesamte Virginia Woolf, Djuna Barnes, Ilse Aichinger, alle Angelika Alitis, Rita Mae Browns (Jacke wie Hose, Rubinroter Dschungel, was haben wir gelacht…) und Luisa Francias: ab auf den Dachboden, ein Lebensgefühl, eine Zeit: die Achtziger, merke ich, bin ich am entsorgen. Meine 1980iger, Frauenoffensive, Frauen in der Literatur, Mütter-Töchter… .
Brauche ich jetzt nicht um mich.
Was ich mit Bedauern auch noch drangebe: den wundervollen Armistead Maupin: Tales of the City, damals ein Augenöffner, und alle die historischen Frauen-Biografien: Fanny Arnstein oder die Emanzipation, Hildegard natürlich, Margret Kempe, Moderata Fonte, ach…  .
Wir kommen in die End-Achtziger, Anfang Neunziger, Toni Morrison, Alice Walker, Amy Tan,  Cathie Dunsford, Augenöffner auch sie.  Audre Lorde, einmal hab ich sie gesehen, New York, Hunter College, in deren größtem Auditorium, völlig überfüllt. Ich war verblüfft, beschämt, verwirrt über das, was ich damals als tiefes, unbegreifliches, ganz neues und anderes Ressentiment wahrgenommen habe: gegen Weiße, gegen Heterosexuelle, gegen Bewohner der ersten Welt. Also gegen alle, die anders waren als sie, die doch, aus meiner Sicht damals, ganz selbst-verständlich die Andere war. Augenöffnend, so eine Reise durch die Billy-Regale.  Vorbei, vorbei. Wann sind die Neunziger aus der Mode gekommen? – Ich war nicht dabei, als das geschah, aber ich merke, heute bin ich woanders.
Die Frage ist: was brauche ich heute um mich? Eine Liste:
Ein Regal buddhistische Bücher, Pema Chödrön, Jack Kornfield und andere.
Ein Regal Bücher übers kreative Schreiben, übers Geschichten-erzählen, über Geschichten, über Narrativität, über Mythen, Märchen.
Ein Regal Philosophische Lebenskunst, von Epiktet bis Wilhelm Schmid.
Ein Regal Bücher über Selbständigkeit, Entrepreneurship, Köpfchen schlägt Kapital, geht über in Organisationswissen, Qualitätsentwicklung, (Selbst-)Management, Kreativität.
Ein Regal Bücher mit Morgenseiten.
Ein Regal Berger / Luckmann und Konsorten, weil ich die noch nicht loslassen kann, Bateson, Watzlawick, Salvador Minuchin. Halbwachs, Fleck, Goffman. Stigma-Management, ach, .. .
Ein Regal Shakespeare und über Shakespeare, das wächst schnell,
ein Regal Terry Pratchett.

Das Gute bleibt.
Für den Rest gibt’s Plastikboxen, Listen und blog-Einträge.

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1 Response to Staub. Zeit. Listen. Das Gute bleibt.

  1. Beate Dittrich sagt:

    Hallo Frau Fuchs,

    hab schmunzelnd Ihre Zeilen gelesen…..nach meiner Fuß OP wollte ich eben mit MOMOX und Konsorten in Kontakt treten und Bücher entsorgen…wie es aussieht kann ich mir die Zeit sparen und eben noch vorher einige durchsichtige Plastikboxen besorgen.
    Vielen Dank für die überaus wertvolle Info – Zeit gespart 😉

    Eine BücherErfolgsStory für Sie und
    alles Liebe

    Beate Dittrich

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