Schreiben, um frei zu werden: Heilsames Schreiben

IMG_1750Was braucht es, damit das Schreiben zur Freiheitsressource werden kann?

Das Rezept ist einfach:

* ein Schreibbuch, natürlich,
* etwas Zeit, am besten regelmäßig am Tag, etwa morgens vor dem Aufstehen,
*ein Ziel, z.B.: drei Seiten, oder: fünf Minuten

und, entscheidend wichtig:

* Keine Adressaten, keine Mit-Leser,  und
* keine Schreib-Regeln.

Denn nur so, ohne Adressaten und ohne Regeln, gelingt es, den Effekt zu erzielen, der aus einfachem Schreiben  Heilsames Schreiben werden lässt: wir geben nach außen, was uns beschäftigt, vielleicht auch bedrängt und bedrückt, und müssen keinerlei Kontrolle oder soziale Konsequenzen fürchten. In unserem Schreiben sind wir mit uns selbst allein und frei.

IMG_1751Ich habe diese Schreibprozesse mit Kindern, Jugendlichen, Lehramtsstudierenden, mit Erwachsenen, mit herausgeforderten Menschen (in Krankheitsphasen und in der Trauer z.B.) und mit Geflüchteten seit Jahren gemacht und immer wieder verfeinert und geklärt.
Es hat sich gezeigt, dass zwei weitere Aspekte ganz wichtig sind, um Druck rauszunehmen und den freien Fluss zu sichern:

* wenn keine Worte in den Sinn kommen, dann nicht absetzen, nicht unterbrechen, sondern einfach kringeln, um im Fluss zu bleiben.

* Das Geschriebene nicht wieder lesen. Wenn fertig, einfach Buch zuklappen und weiterleben.

Ein Letztes ist mir aus Erfahrung wichtig:

Wir versuchen immer wieder, aus unserem Leben, aus dem, was uns passiert, Sinn zu machen. Die typische Form dafür ist das Tagebuch. Wir erzählen uns selbst und anderen Geschichten.  Damit das Schreiben heilsam werden kann, ist es wichtig, diesen narrativen Imperativ zu durchbrechen:

* auch was (noch) keine Geschichte ist, auch was erstmal keinen Sinn zu machen scheint, kann da sein, darf da sein, darf zur Sprache kommen, kann geschrieben werden. Als Liste z.B., oder als unzusammenhängende Wörter oder halbe Sätze. Deshalb habe ich das Heilsame Schreiben auch manchmal „Skrupelloses Schreiben“ genannt, um den Aspekt der Freiheit von konventionellen Erwartungen zu betonen.

20160328_183018Wenn aus dem heilsamen Schreiben eine Gewohnheit geworden ist, und wenn die Souveränität der Schreiberinnen und Schreiber stets gewahrt bleibt, dann entsteht Erstaunliches.

Zu besichtigen ist das etwa im Film „Freedom Writers“, der ein enorm erfolgreiches Schulprojekt beschreibt. Der Film kann z.B. auf Amazon gestreamt werden.

Change writers ist ein deutsches Projekt nach dem Vorbild der Freedom writers: www.changewriters.de
Dazu der Artikel im Spiegel: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/changewriters-joerg-knuefken-hilft-schwierigen-schuelern-mit-tagebuechern-a-1182187.html

James W. Pennebaker beforscht seit den 80iger Jahren den Zusammenhang zwischen Schreiben und der Bewältigung von Erfahrungen. Das ist die wissenschaftliche Basis der Schreibprojekte zum Heilsamen Schreiben. Er hat herausgefunden, dass schon 15 Minuten Freies Schreiben am Tag helfen, den messbaren Stress zu verringern, ruhiger zu werden, Probleme zu klären und resilienter, also psychisch widerstandfähiger, zu werden:
James W. Pennebaker und John F. Evans: Expressive Writing. Words that Heal. Enumclaw 2014, Idyll Arbor Inc.

Auch im Kreativen Schreiben hat das Freie („automatische“) Schreiben seit vielen Jahren Konjunktur: Erfahrungen zeigen, dass mit „Morgenseiten“ z.B. die Kreativität erhalten werden kann. Der gefürchtete writers block, also die Schreibblockaden, die professionell Schreibende hin und wieder befallen, können so aufgelöst werden.
Julia Cameron: Von der Kunst des Schreibens. München 2003, Knaur Verlag

 

 

 

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